Kapitel 1 | BNE – Bedeutung, Unterstützung, Förderung und Umsetzung


1.1: Bedeutung von Bildung für nachhaltige Entwicklung

Unter nachhaltiger Entwicklung wird eine Entwicklung verstanden, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“(→2). So formulierte es die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung bereits 1987 im sogenannten Brundtland-Bericht. Die Forderung, diese Entwicklung dauerhaft zu gestalten, wurde an alle Länder und Menschen gerichtet.

Gemäß dieser Überzeugung verabschiedete die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahr 1992 mit der Agenda 21(→3) ein Aktionsprogramm für eine nachhaltige Weltentwicklung. Diese wurde von 178 Staaten unterzeichnet. Kapitel 36 der Agenda 21 maß Bildung bei der Verwirklichung von nachhaltiger Entwicklung schon damals eine wichtige Rolle zu. Seitdem wird eine nachhaltige Entwicklung im (globalen) gesellschaftlichen Diskurs, in der wissenschaftlichen Forschung, in Wirtschaft und Politik und auch in der Bildung als eine zunehmend wichtige Aufgabe betrachtet.

Ein weiterer wichtiger Meilenstein waren die im Jahr 2000 in New York verabschiedeten 8 Millennium Development Goals (MDGs) zur Bekämpfung der Armut und für globale Zukunftssicherung (→4). Die Verwirklichung dieser Ziele wurde als wichtige Aufgabe für die internationale Politik des 21. Jahrhunderts verstanden. Doch ein Jahr vor Ablauf der sich selbst gestellten Frist wurde trotz einiger beachtlicher Teilerfolge festgestellt, dass die Umsetzung der Ziele auf Hindernisse stieß.

Daher beschlossen die Vereinten Nationen 2015 als einen weiteren Schritt auf dem Weg in eine nachhaltige (Welt-)Gesellschaft die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung.(→5) Mit ihren 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) stellt diese Agenda ein ehrgeiziges globales Zielsystem für die nachhaltige Entwicklung unserer Welt dar. Die SDGs beschreiben wichtige Entwicklungsherausforderungen für die Menschheit. Die Agenda 2030 ist der bemerkenswerte Kompromiss, den die 193 Mitglieder der Vereinten Nationen mit ihren unterschiedlichen Interessen und Prioritäten aushandeln konnten und nicht weniger als ein globaler Referenzrahmen für die Gestaltung einer umweltfreundlichen, sozial gerechten, ökonomisch erfolgreichen und kulturell vielfältigen Gesellschaft. Alle Nationen sind aufgefordert, ihren eigenen Beitrag zu einer solchen Entwicklung zu leisten – auch über den Weg der Bildung. Der entscheidende Unterschied zu den zuvor vereinbarten Millenniumszielen ist, dass die SDGs auch die Industrienationen und deren Verantwortung explizit adressieren.

Während im 2015 verabschiedeten Klimaabkommen von Paris in den Artikeln 11 und 12 Bildung als maßgeblich betrachtet wird(→6), um ein Bewusstsein für den Klimawandel zu schaffen, formuliert Ziel 4 der SDGs Ansprüche an Bildungsqualität, Chancengerechtigkeit und lebenslanges Lernen: Demnach soll Bildung inklusiv, gerecht und hochwertig für alle Menschen sein. Möglichkeiten eines lebensbegleitenden Lernens sind demnach auf- und auszubauen. Diese Verpflichtung gilt für Länder des Globalen Südens genau wie für jene des Globalen Nordens. Selbst wenn in allen SDGs die zentrale Bedeutung von Bildung unterstrichen wird, markiert das Unterziel 4.7 BNE als ein eigenständiges Handlungsfeld: „Bis 2030 [ist] sicher[zu]stellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Mitgestaltung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung“ (→7). In diesem Sinne soll BNE allen Individuen ermöglichen, zur Erreichung der SDGs beizutragen (→8).

Der Beitrag von BNE besteht also darin, Lernende dazu zu befähigen, verantwortungsvoll zu entscheiden und zu handeln, um zu einer sozial gerechten, wirtschaftlich erfolgreichen und ökologisch verträglichen Entwicklung beizutragen, von der letztlich alle Menschen dieser Welt profitieren. In diesem Sinne handelt es sich bei BNE um ein Konzept mit einem umfassenden Bildungsverständnis. BNE zielt sowohl darauf ab, Lernende dazu zu befähigen, die miteinander vernetzten Probleme dieser Welt zu erkennen und zu verstehen als auch darauf, dass sie sich mit der Bedeutung eigener Urteile und Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf zukünftige Entwicklungen auseinandersetzen.

1.2: Unterstützung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in Bund und Ländern

BNE ist ein Bildungskonzept, dessen Bedeutung von verschiedenen bildungspolitischen Akteuren bereits seit vielen Jahren anerkannt wird. So heißt es beispielsweise in der Empfehlung der Kultusministerkonferenz der Länder und der Deutschen UNESCO-Kommission zur BNE in der Schule: „Das Konzept von BNE hat zum Ziel, Schülerinnen und Schüler zur aktiven Gestaltung einer ökologisch verträglichen, wirtschaftlich leistungsfähigen und sozial gerechten Umwelt unter Berücksichtigung globaler Aspekte, demokratischer Grundprinzipien und kultureller Vielfalt zu befähigen“ (→9). Die Bundesregierung lässt sich seit 1997 einmal pro Legislaturperiode über den Stand der Umweltbildung, später BNE, berichten (→10)(→11).

Bund und Länder förderten in der Zeit von 1999 bis 2008 bundesweite Programme zur Entwicklung und Verankerung von BNE in Schulen, aus denen zahlreiche Unterrichtsmaterialien hervorgingen (→12). Die Kultusministerkonferenz hat gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung den „Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung" vorgestellt, der, am Leitbild nachhaltiger Entwicklung orientiert, Grundlagen für die Entwicklung von Lehrplänen anbietet, konkrete Empfehlungen gibt und beispielhaft Material für den Unterricht vorstellt. Er wurde 2015 aktualisiert und erweitert (→13).

Bis heute erweitern Bund und Länder ihr Engagement und ihre Aktivitäten zur Förderung von BNE stetig. Als gemeinsamer Handlungsrahmen wurde der 2017  beschlossene Nationale Aktionsplan BNE vorgelegt (→14). Er wurde in einem breit angelegten partizipativen Prozess mit Vertreterinnen und Vertretern aus Bund, Ländern, Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft entwickelt. Das übergreifende Ziel für alle Bildungsbereiche, auch die schulische Bildung, lautet, dass BNE auf der Grundlage internationaler Vereinbarungen langfristig strukturell in der deutschen Bildungslandschaft verankert werden soll. Dem Nationalen Aktionsplan BNE geht es darum, „das Konzept der nachhaltigen Entwicklung als selbstverständliche Aufgabe der Bildungsverwaltung und des Bildungswesens zu verstehen, BNE in der Lehr- und (pädagogischen) Fachkräftebildung zu integrieren und strukturell in den Lehr- und Bildungsplänen sowie am Lernort und im Sozialraum Schule zu verankern und dabei die Partizipation von Kindern, Jugendlichen und Zivilgesellschaft als (Mit-)Gestaltungsinstrument sinnvoll zu berücksichtigen“ (→15).

Institutionelle Förderung von Bildung für nachhaltige Entwicklung

  • 1999–2004 Bundesregierung und Länder (damals Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung): Programm „21“ (Bildung für nachhaltige Entwicklung mit 200 teilnehmenden Modellschulen)
  • 2004–2008 Bundesregierung und Länder: Programm „Transfer 21“ (Bildung für nachhaltige Entwicklung, hier: Transfer der Ergebnisse des Programms „21“ mit 2500 erreichten Schulen)
  • 2005–2014 Vereinte Nationen: UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung (Ausweitung der Aktivitäten in Schulen und auf andere Bildungsbereiche)
  • 2005 Deutsche UNESCO-Kommission und Bundesministerium für Bildung und Forschung: Nationaler Aktionsplan BNE (2008 und 2011 fortgeschrieben)
  • 2006 Landesregierung NRW: Zukunft Lernen (Aktionsplan für die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung 2005 bis 2014“ in Nordrhein-Westfalen)
  • 2007 Kultusministerkonferenz und Deutsche UNESCO-Kommission: Empfehlung zur Bildung für nachhaltige Entwicklung
  • 2016 Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Landesstrategie Bildung für nachhaltige Entwicklung – Zukunft lernen NRW (2016–2020)
  • 2015–2019 UNESCO: Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung
  • 2017–2019 Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung

1.3: Förderung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in Nordrhein-Westfalen

Bei der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans war es den Bundesländern wichtig, in eigener Verantwortung und Zuständigkeit zu entscheiden, wie BNE durch die Ministerien, nachgeordneten Behörden, Seminare und Schulen umgesetzt wird.

Nordrhein-Westfalen war das erste Bundesland(→16), das die eigenen Vorstellungen zur Verwirklichung von BNE mit einer spezifischen „Landesstrategie Bildung für nachhaltige Entwicklung 2016 bis 2020“ zum Ausdruck brachte (→17). Die Landesstrategie verfolgt das Ziel, BNE in allen Bildungsbereichen dauerhaft strukturell zu verankern. Dabei wird auf eine Kombination des Top-Down- und Bottom-Up-Ansatzes gesetzt. Das bedeutet, dass freiwilliges und selbstverantwortliches Engagement der Bildungsakteure und -einrichtungen durch staatliche Institutionen unterstützt und geregelt wird und umgekehrt, dass staatliche Institutionen Rahmenbedingungen schaffen, die das Engagement vor Ort zusätzlich fördern.

Die Landesstrategie nimmt zur weiteren Verankerung von BNE auch die Entwicklung von Lehrplänen in den Blick, da BNE in der Landesstrategie als ein Bestandteil einer umfassenden schulischen Bildung verstanden wird. BNE ist somit integraler Bestandteil von Lehr- und Lernprozessen im Fachunterricht.

Seit geraumer Zeit existiert in Nordrhein-Westfalen eine bunte Landschaft von Schulprofilen, vielfältigen Unterrichtsvorhaben und zahlreichen Projekten von BNE in Schulen. Neben der langjährig erfolgreichen NRW-Kampagne „Schule der Zukunft – Bildung für Nachhaltigkeit“ mit aktuell über 600 teilnehmenden Schulen und über 30 aktiven Netzwerken gehören hierzu die Hälfte der bundesweit über 500 Fairtrade-Schools, ca. 40 UNESCO-Projektschulen, fast 50 Nationalparkschulen Eifel und die sich etablierenden Verbraucherschulen. Hinzu kommen weitere schulische Initiativen und Projekte, die sich für Menschenrechte, Völkerverständigung und demokratische Partizipation einsetzen(→18). Eine Vielzahl von weiteren außerschulischen Partnern unterstützt zudem die Schulen im Rahmen ihres BNE-Engagements. Flankiert werden diese Aktivitäten durch die im Jahr 2017 veröffentlichte Rahmenvorgabe zur Verbraucherbildung(→19), Maßnahmen zur Verankerung von BNE in der Lehrkräftefortbildung oder die Teilnahme Nordrhein-Westfalens am Schulprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung und Globales Lernen“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Bei all diesen Entwicklungen und Aktivitäten haben der wissenschaftliche Diskurs um das Bildungskonzept BNE, die institutionelle Förderung von BNE sowie die konkrete pädagogische BNE-Praxis in Schulen wichtige Erkenntnisse, Impulse und Anregungen für ein modernes und zukunftsfähiges Verständnis von Bildung beigesteuert. Die Leitlinie basiert auf diesen Vorarbeiten.

1.4: Leitlinie: Beitrag zur Umsetzung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in Nordrhein-Westfalen

Die vorliegende Leitlinie BNE ist als ein Beitrag des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans BNE zu verstehen. Als wesentliche Beiträge zur Verwirklichung des dort formulierten Ziels einer „strukturellen Verankerung“ von BNE werden für den Schulbereich die „Verankerung von BNE in den Rahmenlehr- und Bildungsplänen der Länder“ sowie die „Einbeziehung von BNE in die Schul- und Unterrichtsentwicklung“ als geeignete Maßnahmen angesehen.

Dazu leistet die Leitlinie BNE in Nordrhein-Westfalen einen Beitrag und bietet auf der Basis der oben beschriebenen Vorarbeiten und praktischen Erfahrungen eine Orientierung für die systematische Implementation von BNE in den Fachunterricht (Unterrichtsentwicklung), bei außerunterrichtlichen Aktivitäten in den Schulen sowie in der Schulentwicklung. Darüber hinaus bietet die Leitlinie Prüfkriterien für die künftige Weiterentwicklung von Kernlehrplänen im Sinne von BNE.